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Stimmen

Kaum ein anderer Autor der deutschen Literatur hat so begeisterte Anhänger und so glühende Gegner wie Friedrich Hebbel. Hier eine Auswahl von Freund- und Feind-Äußerungen:

Sigmund Engländer, Publizist und Frühsozialist, 1845

In einigen größeren Gesprächen, die ich bisher mit diesem großen Dichter zu halten Gelegenheit hatte, war es mir, als ob ich in einen ganz anderen Planeten schaute: so völlig von den gewöhnlichen Menschenansichten abweichende, neu aufbauende Betrachtungsweisen sog ich ein. Wie zwergig und plappernd kamen mir die meisten Anschauungen vom Drama, Hebbels gigantischer, universaler Intuition gegenüber, vor. […] Nehmt von den Ecken den Theaterzettel, worauf Kotzebue und Iffland fettgemästet thronen, herab und klebt nur für einen Augenblick Hebbel dafür an und seht dann ob das Publicum ihn nicht öfter verlangt. Ich höre im Geiste das zwanzigste Jahrhundert ein herbes Gelächter darüber ausstoßen, wie jede Zeit an ihrem Genius sündigt.

Österreichisches Morgenblatt Dezember 1845, zitiert nach Hebbel-Kalender für 1905, S. 189

Julian Schmidt, „Literaturpapst“ des Realismus, 1847 über die „Maria Magdalena“

Seine Probleme kommen nicht aus dem Herzen, sie kommen aus einer durch die Reflexion befleckten Phantasie. Es ist möglich, daß es Frauenzimmer gibt, die eine That begehen, wie Maria Magdalena; daß es Väter gibt, die, wenn der Würgeengel des Todes ihre ganze Familie hinwegrafft, ähnliche Bemerkungen zu machen im Stande sind; die dann, um sich ein Relief zu geben, hinzusetzen: Ich verstehe die Welt nicht mehr! Aber was hat die Poesie mit solchen Mißgeburten zu thun! Wenn der Dichter mit raffinirter Wollust sich selber einen wunderbar verwickelten psychischen Knoten knüpft, und ihn dann zerhaut, weil er ihn nicht auflösen kann, so schaudern wir, aber wir werden nicht erschüttert…

Grenzboten 1847, zitiert nach Wütschke, Hebbel in der zeitgenössischen Kritik, S. 64, 70f.

Theodor Fontane, 1874, anläßlich einer Aufführung von „Herodes und Mariamne“ in Berlin

Herodes und Mariamne, beide stehen auf einer Leidenschafts-Höhe, die uns flüchtig wohl ein Staunen, nachhaltig aber doch nur tiefste Abneigung einflößen kann, um nicht, in schuldiger Rücksicht gegen die außerordentliche Begabung des Dichters, ein noch stärkeres Wort zu wählen. […] Was uns hier als Herodes und Mariamne entgegentritt, ist nicht Herodes und Mariamne, es sind vielmehr Träger der Anschauungen, die Hebbel von zwei Formen der Liebe, von der unechten egoistisch-tyrannischen und von der echten, selbstsuchtslos-heroischen hatte, denen er zwei Königskleider umhing und ihnen die Zettel anheftete: Herodes und Mariamne. So sehen wir, vier Stunden lang, ein Liebespaar sich und andere quälen, das weder modern ist, noch antik, sondern nur geschaffen wurde, um der Welt zu zeigen, wie Hebbel sich die Liebe denkt.

Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Abt. III. Bd. 2: Theaterkritiken. Hg. von Siegmar Gerndt. München: Hanser, 1969, S. 192f.

Sigmund Freud, 1875, mit achtzehn Jahren

Allmählich hole ich aus der Bibliothek unseres Vereines das nach, was mir zur Kenntnis der neueren Literatur fehlt. So habe ich einen Teil der Ahnen von Freitag gelesen, wie ich Dir, mein’ ich, schon geschrieben habe, und unlängst ein halb Dutzend Trauerspiele von Friedrich Hebbel verschlungen, den Du, wenn Du ihn nicht schon kennst, mit Nutzen kennenlernen wirst. Sein Wesen ist herb revolutionär, voll von bitterer Kritik. Von dem Schema, daß, wenn der Held für eine berechtigte Idee gekämpft hat, der Held zwar unterliegen darf, aber die Idee siegen muß oder der Dichter ihr zummindesten den Sieg versprechen muß, ist wenig zu spüren. Im Morden ist er ein wahrer Shakespeare, am wohlsten ist ihm, wenn sich jemand durch Konsequenz der Leidenschaft zu Grunde richtet, alle seine Helden sind Trotzköpfe, die sich gegenseitig die Schädel einrennen, die Leidenschaften schildert er immer so groß, daß es dem Dichter die Mühe lohnt, sie zu beleuchten und vielleicht, wenn man Hebbel recht versteht, zu entschuldigen. Sehr schön ist die Judith, ein sexuelles Problem, eine überstarke Frau trotzt einem übergewaltigen Mann und rächt sich an ihm für die durch das Geschlecht ihr zu Teil gewordene Inferiorität. Dir insbesondere, dem alten Schätzer der Penthesileia, will ich die Judith warm empfehlen. Holofernes ist ein Grobian, denk’ Dir den Gargantua oder den Pantagruel als patentierten, von seiner assyrischen Majestät ausschließlich privilegierten Räuberhauptmann, so hast Du den Holfernes. Daß die Judencharaktere wunderbar sind, wirst Du gern glauben, nach Hebbels Begabung für die Starrköpfe zu schließen. Übrigens charakterisiert Hebbel selbst seine Helden in einigen dem Stück vorangeschickten Zeilen besser, als ich es hier kann. Die „Mariamne“ ist schön, aber weniger bewegt, ich hab das Stück nicht gern, denn so verwickelte gefährliche psychologische Experimente haben etwas Unwahrscheinliches. Übrigens sehe ich mit Erstaunen, was für herrliche Tragödienstoffe in der verachteten jüdischen Geschichte ruhen; wenn nur der ewige Jehova nicht zu monoton wäre. Die „Agnes Bernauer“ hat mich erst gelangweilt und dann geärgert, ja empört. Gegen den Schluß hat nicht nur das Gefühl sondern auch die Logik Triftiges einzuwenden. Ein Meisterstück ist dagegen „Maria Magdalena“, auch ein Tendenzstück wie kein anderes; eine erschütternde Tragödie mit den einfachsten Mitteln. „Genofeva“ ist auch poetisch schön, die Geschichte ist die bekannte, die Leidenschaft des ungetreuen Golo ist in alle Glutfarben der Hölle getaucht, wie Du Dir denken magst. „Ring des Gyges“ ist wiederum ein sexuales Problem, übrigens oft recht lieblich. Nimmst Du noch dazu die Nibelungentrilogie mit ihrer Heldin Chriemhild, so siehst Du die interessante Tatsache vor Dir, daß alle Helden Frauen sind und die größte Anzahl der Stücke nach Frauen benannt sind. Es ist aber nicht etwa auf eine Darstellung der Frau von verschiedenen Seiten, auf eine politische Verherrlichung der Frauen abgesehen, sondern der Dichter bevorzugt die Frauen als die poetisch warmblütigern Tiere, weil sie neben dem Starrsinn, den sie mit den Männern teilen, auch glühende Gefühle haben können.

Sigmund Freud: Jugendbriefe an Eduard Silberstein 1871–1881. Hg. von Walter Boehlich. Frankfurt/M. 1989, S. 121f.

Berthold Auerbach, Autor der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, 1876

Es ist mir [bei einer Aufführung der Judith] wieder ganz evident geworden: Wenn es einen Dichter der Unnatur geben kann, Hebbel hat den Anspruch darauf, und es ist geschichtlich und psychologisch belehrend, daß ein so stelzenhaftes Phrasenthum durch keckes geniewüthiges Aufprotzen sich einmal Geltung verschaffen konnte. Ich nehme daraus die beruhigende Belehrung, daß es einst und hoffentlich bald so auch mit Richard Wagner gehen wird. Man wird es unfaßlich finden, daß man je auf Derartiges etwas halten konnte. Beide sind gleich darin, daß sie Muth und technisches Geschick haben, aber auch darin, daß weil ihnen die natürliche Rhythmik einer Melodie fehlt, sie nun lehren und mit Werken beweisen wollen, das Gesunde und Gerade sei Larifari. Immer kolossal! ist ihr Wahlspruch, und die Männer sind Bramarbasse und die Frauen ein Gemenge von sinnlicher Tollheit und philosophischem Wahnwitz. Ich theile wieder ganz den Ekel, den Otto Ludwig vor Hebbel hatte, der verderbend und verwirrend wirkt, mit Großprahlerei verblüfft und mit gesprochenem Fusel momentan betäubt, dann aber Katzenjammer erzeugt.

Berthold Auerbach: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Ein biographisches Denkmal. 2. Bd. Frankfurt/M. 1884, S. 277

Franz Kafka, 1904, mit zwanzig Jahren

…und fürs zweite habe ich Hebbels Tagebücher (an 1800 Seiten) in einem Zuge gelesen, während ich früher immer nur kleine Stückchen herausgebissen hatte, die mir ganz geschmacklos vorkamen. Dennoch fing ich es im Zusammenhange an, ganz spielerisch anfangs, bis mir aber endlich so zu Mute wurde wie einem Höhlenmenschen, der zuerst im Scherz und in langer Weile einen Block vor den Eingang seiner Höhle wälzt, dann aber, als der Block die Höhle dunkel macht und von der Luft absperrt, dumpf erschrickt und mit merkwürdigem Eifer den Stein wegzuschieben sucht. Der aber ist jetzt zehnmal schwerer geworden und der Mensch muß in Angst alle Kräfte spannen, ehe wieder Licht und Luft kommt. Ich konnte eben keine Feder in die Hand nehmen während dieser Tage, denn wenn man so ein Leben überblickt, das sich ohne Lücke wieder und wieder höher türmt, so hoch, daß man es kaum mit seinen Fernrohren erreicht, da kann das Gewissen nicht zur Ruhe kommen. Aber es tut gut, wenn das Gewissen breite Wunden bekommt, denn dadurch wird es empfindlicher für jeden Biß. Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Das glaube ich.

An Oskar Pollak, 27. Januar 1904

Thomas Theodor Heine, 1908 (Illustration)

Judith Thomas Theodor Heine
Aus: F. Hebbel: Judith. Mit Illustrationen von Thomas Theodor Heine. München 1908

Gottfried Benn, 1913 aus Anlaß von Hebbels 100. Geburtstag

Der junge Hebbel

Ihr schnitzt und bildet: den gelenken Meißel
In einer feinen weichen Hand.
Ich schlage mit der Stirn am Marmorblock
die Form heraus.
Meine Hände schaffen ums Brot.

Ich bin mir noch sehr fern.
Aber ich will ich werden!
Ich trage tief einen im Blut,
der schreit nach seinen selbsterschaffenen
Götterhimmeln und Menschenerden. –

Meine Mutter ist so eine arme Frau,
daß ihr lachen würdet, wenn ihr sie sähet.
Wir wohnen in einer engen Bucht,
ausgebaut an des Dorfes Ende.
Meine Jugend ist mir wie ein Schorf:
eine Wunde darunter.
Da sickert täglich Blut hervor.
Davon bin ich so entstellt. –

Schlaf brauche ich keinen.
Essen nur so viel, daß ich nicht verrecke!
Unerbittlich ist der Kampf
und die Welt starrt von Schwertspitzen
Jede hungert nach meinem Herzen.
Jede muß ich, Waffenloser,
in meinem Blut zerschmelzen.

Gottfried Benn: Gesammelte Werke in vier Bd. Hg. von Dieter Wellershof. 3. Bd.: Gedichte, S. 21

Golo Mann, Historiker, Sohn von Thomas Mann, 1986

Sommer 1931. Aus Heidelberg war ich an den Bodensee gefahren, um dort den August zu verbringen, an meiner Dissertation zu arbeiten, nebenher spazieren zu gehen oder zu rudern. (…) Auch der Gasthof „Zur Linde“ wimmelte von Menschen. Der Wirt hatte keine Zeit für mich. In Geduld schon geübt, bestellte ich mir einen Schoppen Wein und wartete, nicht draußen, wo es laut und lustig zuging, sondern in der einsamen Gaststube. Da saß ich, müde, unbehaust und traurig. Nach einer Weile fiel mir ein, daß ich im letzten Moment noch ein Buch in die Handtasche getan hatte: den ersten Band der Tagebücher Friedrich Hebbels. Wie ich zu ihm kam, weiß ich nicht mehr. Ich fing an zu lesen, dort wo Hebbel zu schreiben anfing. Bald hatte ich alle Düsternis vergessen, eine Erfahrung, ungefähr so angenehm, wie das plötzliche Verschwinden starker Zahnschmerzen. Ich las und las und bemerkte die Stunden nicht, die der Wirt mich warten ließ, und als er mir endlich mitteilte, im Hause einer „Wittfrau“ habe er ein Zimmer für mich, war die Nachricht mir fast mehr Störung als Erlösung.

Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland. Frankfurt/M. 1986, zitiert nach HJb 1990, S. 15f.

Alfred Brendel, Pianist, 2008

Unter den schönen, wichtigen, kuriosen und überflüssigen Büchern, die meine Bibliothek beherbergt, sind Hebbels Tagebücher etwas Einzigartiges: Sie sind dies alles auf einmal. Es entfaltet sich darin das Panorama einer genialen Persönlichkeit, die vom Großartigen bis ins Fragwürdige reicht, ein Gesamtbild, das in solcher Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit seinesgleichen sucht. Von Tagebüchern des üblichen Zuschnitts ist hier kaum mehr zu reden: Peter von Matt hält Hebbels Version dieser Gattung geradezu für eine eigene Kunstform, und zwar jene, in der er seiner Zeit am weitesten vorauseilte. Daß sie auch Überflüssiges, Überholtes, allzu Zeitgebundenes mit einschließt, schmälert nicht die erstaunliche Originalität eines Unternehmens, das den Rahmen eines Dokuments nach allen Richtungen sprengt.

Friedrich Hebbel: Weltgericht mit Pausen. Aus den Tagebüchern, hg. von Alfred Brendel. München 2008, S. 7

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