Werke Auswahl

Lyrik

Das alte Haus 1834

Der Maurer schreitet frisch heraus,
Er soll dich niederbrechen;
Da ist es mir, du altes Haus,
Als hörte ich dich sprechen:
»Wie magst du mich, das lange Jahr'
Der Lieb' und Eintracht Tempel war,
Wie magst du mich zerstören?

Dein Ahnherr hat mich einst erbaut
Und unter frommem Beten
Mit seiner schönen, stillen Braut
Mich dann zuerst betreten.
Ich weiß um alles wohl Bescheid,
Um jede Lust, um jedes Leid,
Was ihnen widerfahren.

Dein Vater ward geboren hier,
In der gebräunten Stube,
Die ersten Blicke gab er mir,
Der munt're, kräft'ge Bube.
Er schaute auf die Engelein,
Die gaukeln in der Fenster Schein,
Dann erst auf seine Mutter.

Und als er traurig schlich am Stab
Nach manchen schönen Jahren,
Da hat er schon, wie still ein Grab,
In meinem Schoß erfahren;
In jener Ecke saß er da,
Und stumm und händefaltend sah
Er sehnlich auf zum Himmel.

Du selbst – doch nein, das sag' ich nicht,
Ich will von dir nicht sprechen,
Hat dieses alles kein Gewicht,
So laß nur immer brechen.
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein,
Zerstöre du den Tempel sein,
Damit es endlich weiche.

Noch lange Jahre kann ich stehn,
Bin fest genug gegründet,
Und ob sich mit der Stürme Weh’n
Ein Wolkenbruch verbündet;
Kühn rag' ich, wie ein Fels, empor,
Und was ich auch an Schmuck verlor,
Gewann ich's nicht an Würde?

Und hab' ich denn nicht manchen Saal
Und manch geräumig Zimmer?
Und glänzt nicht festlich mein Portal
In alter Pracht noch immer?
Noch jedem hat's in mir behagt,
Kein Glücklicher hat sich beklagt,
Ich sei zu klein gewesen.

Und, wenn es einst zum Letzten geht,
Und wenn das warme Leben
In deinen Adern stille steht,
Wird dies dich nicht erheben,
Dort, wo dein Vater sterbend lag,
Wo deiner Mutter Auge brach,
Den letzten Kampf zu streiten?«

Nun schweigt es still, das alte Haus;
Mir aber ist's, als schritten
Die toten Väter all’ heraus,
Um für ihr Haus zu bitten,
Und auch in meiner eig'nen Brust,
Wie ruft so manche Kinderlust:
Laß steh’n das Haus, laß stehen!

Indessen ist der Mauermann
Schon ins Gebälk gestiegen,
Er fängt mit Macht zu brechen an,
Und Stein' und Ziegel fliegen.
Still, lieber Meister, geh von hier,
Gern zahle ich den Taglohn dir,
Allein das Haus bleibt stehen.

Bubensonntag 1836

Wenn ich einst, ein kleiner Bube,
Sonntags früh im Bette lag,
und die helle Kirchenglocke
all das Schweigen unterbrach:

O wie schlüpft' ich dann so hurtig
aus dem Bett ins Kleid hinein,
und wie gern ließ ich das Frühstück,
um zuerst bei Gott zu sein!

Ein Gesangbuch unterm Arme,
eh' ich's Lesen noch verstand,
ging ich fort, gebeugten Hauptes,
fromm verschränkend Hand in Hand.

Kam mein Hündchen froh gesprungen,
schalt ich: »Komm mir nicht zu nah!«
Kaum daß ich, zur Seite schielend,
nach der Vogelfalle sah.

Fiel die Kirchentür nun knarrend
hinter meinem Rücken zu,
sprach ich furchtsam-zuversichtlich:
»Jetzt allein sind Gott und du!«

Längst mit ganzem, vollem Herzen
hing ich da an meinem Gott,
Doch, daß niemand ihn erblicke,
hielt ich stets für eitel Spott.

Und so hofft' ich jeden Morgen,
endlich einmal ihn zu seh'n;
war's denn nichts in meinen Jahren,
stets um fünfe aufzustehn?

Auf dem hohen Turm die Glocke
war schon lange wieder stumm,
der Altar warf düstre Schatten,
Gräber lagen rings herum.

Drang ein Schall zu mir herüber,
dacht' ich: jetzt wirst du ihn schaun!
Aber meine Augen schlossen
sich zugleich vor Angst und Graun.

Und dies Zittern, dies Erbangen
und mein kalter Todesschweiß -
daß der Herr vorbeigewandelt,
galt mir alles für Beweis.

Still und träumend dann zu Hause
schlich ich mich in süßer Qual,
und mein klopfend Herz gelobte,
sich mehr Mut fürs nächste Mal.

Nachtlied 1836

Quellende, schwellende Nacht,
Voll von Lichtern und Sternen;
In den ewigen Fernen,
Sage, was ist da erwacht!

Herz in der Brust wird beengt,
Steigendes, neigendes Leben,
Riesenhaft fühle ich's weben,
Welches das meine verdrängt.

Schlaf, da nahst du dich leis,
Wie dem Kinde die Amme,
Und um die dürftige Flamme
Ziehst du den schützenden Kreis.

Abendgefühl 1838

Friedlich bekämpfen
Nacht sich und Tag.
Wie das zu dämpfen,
Wie das zu lösen vermag!

Der mich bedrückte,
Schläfst du schon, Schmerz?
Was mich beglückte,
Sage, was war′ s doch, mein Herz?

Freude, wie Kummer,
Fühl ich, zerrann,
Aber den Schlummer
Führten sie leise heran.

Und im Entschweben,
Immer empor,
Kommt mir das Leben
Ganz, wie ein Schlummerlied vor.

Das Haus am Meer 1838

Hart an des Meeres Strande
baut man ein festes Haus;
als sollt' es ewig dauern,
so heben die trotz'gen Mauern
sich in das Land hinaus.

Mächtige Hammerschläge
erdröhnen schwer und voll;
die Sägen knarren und zischen,
verworren hört man dazwischen
der Wogen dumpf Geroll.

Durch das Gebälke klettert
ein rüst'ger Zimmermann;
der Wind, der sich erhoben,
zerreißt mit seinem Toben
das Lied, das er begann.

Ich bin hineingetreten;
daß solch ein Werk gedeiht;
das ist an Gott gelegen;
zu beten um seinen Segen,
nehm' ich mir gern die Zeit.

Die Fenster gehen alle
hinaus auf die wilde See;
noch sind sie nicht verschlossen,
eine Möwe kommt geschossen
durch das, an dem ich steh'.

Hier will der Bewohner schlafen;
schon wird in dem luft'gen Raum
die Bettstatt aufgeschlagen;
da ahn' ich mit stillem Behagen
voraus gar manchen Traum.

Doch wende ich mein Auge,
fällt's auf gar manches Riff,
ich sehe des Meeres Tosen,
drüben im Grenzenlosen
durchbricht den Nebel ein Schiff.

Wer ist's denn, der am Strande,
am öden, sein Haus sich baut?
»Ein Schiffer; seit vielen Jahren
hat er das Meer befahren,
nun ist's ihm lieb und vertraut.

'Dies ist die letzte Reise,
ich fühl' mich alt und müd',
daß ich mein Nest dann finde,
hobelt und hämmert geschwinde!'
So sprach er, als er schied.

Jetzt kann er stündlich kehren,
er ist schon lange fort,
drum müssen wir alle eilen!«
Des schwellenden Sturmwinds Heulen
verschlingt des Zimm'rers Wort.

Die Wolken ballen sich dräuend,
riesige Wogen erstehn,
aufgerüttelt von Stürmen,
schrecklich, wenn sie sich türmen,
schrecklicher, wenn sie zergehn.

Das Schiff dort, kraftlos ringend,
ihr Spiel jetzt, bald ihr Raub,
muß gegen die Felsen prallen,
schon hör' ich den Notschuß fallen,
was hilft es? Gott ist taub.

Ich fürchte, das ist der Schiffer,
dem man dies Bett bestellt,
der Zimm'rer mit dem Hammer
befestigt die letzte Klammer,
während das Schiff zerschellt.

Der Baum in der Wüste 1839

Es steht ein Baum im Wüstensand,
Der einzige, der dort gedieh;
Die Sonne hat ihn fast verbrannt,
Der Regen tränkt den durst'gen nie.

In seiner falben Krone hängt
Gewürzig eine Frucht voll Saft,
Er hat sein Mark hinein gedrängt,
Sein Leben, seine höchste Kraft.

Die Stunde, wo sie, überschwer,
Zu Boden fallen muß, ist nah',
Es zieht kein Wanderer daher,
Und für ihn selbst ist sie nicht da.

Winterreise 1839

Wie durch so manchen Ort
Bin ich nun schon gekommen,
Und hab' aus keinem fort
Ein freundlich Bild genommen.

Man prüft am fremden Gast
Den Mantel und den Kragen,
Mit Blicken, welche fast
Die Liebe untersagen.

Der Gruß trägt so die Spur
Gleichgültig-off'ner Kälte,
Daß ich ihn ungern nur
Mit meinem Dank vergelte.

Und weil sie in der Brust
Mir nicht die Flamme nähren,
So muß sie ohne Lust
Sich in sich selbst verzehren.

Da ruf' ich aus mit Schmerz,
Indem ich fürbaß wand're:
Man hat nur dann ein Herz,
Wenn man es hat für And're.

Das Kind am Brunnen 1841

Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
Doch die liegt ruhig im Schlafe.
Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht,
Am Hügel weiden die Schafe.

Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
Es wagt sich weiter und weiter!
Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
Da stehen Blumen und Kräuter.

Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief!
Sie schläft, als läge sie drinnen.
Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,
Die Blumen locken's von hinnen.

Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,
Nun pflückt es die Blumen sich munter;
Doch bald ermüdet das reizende Spiel,
Da schaut's in die Tiefe hinunter.

Und unten erblickt es ein holdes Gesicht,
Mit Augen, so hell und so süße.
Es ist sein eignes, das weiß es noch nicht,
Viel stumme, freundliche Grüße!

Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind
Winkt aus der Tiefe ihm wieder.
Herauf! Herauf! so meint's das Kind;
Der Schatten: Hernieder! Hernieder!

Schon beugt es sich über den Brunnenrand.
Frau Amme, du schläfst noch immer!
Da fallen die Blumen ihm aus der Hand
Und trüben den lockenden Schimmer.

Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,
Verschluckt von der hüpfenden Welle;
Das Kind durchschauert's fremd und kalt,
Und schnell enteilt es der Stelle.

Der Haideknabe 1844

Der Knabe träumt, man schicke ihn fort
Mit dreizig Thalern zum Haide-Ort,
Er ward drum erschlagen am Wege
Und war doch nicht langsam und träge.

Noch liegt er im Angstschweiß, da rüttelt ihn
Sein Meister, und heißt ihm, sich anzuzieh'n
Und legt ihm das Geld auf die Decke
Und fragt ihn, warum er erschrecke.

»Ach Meister, mein Meister, sie schlagen mich todt,
Die Sonne, sie ist ja wie Blut so roth!«
Sie ist es für dich nicht alleine,
Drum schnell, sonst mach' ich dir Beine!

»Ach Meister, mein Meister, so sprachst du schon,
Das war das Gesicht, der Blick, der Ton,
Gleich greifst du« - zum Stock, will er sagen,
Es sagt's nicht, er wird schon geschlagen.

»Ach Meister, mein Meister, ich geh', ich geh',
Bring meiner Frau Mutter das letzte Ade!
Und sucht sie nach allen vier Winden,
Am Weidenbaum bin ich zu finden!«

Hinaus aus der Stadt! Und da dehnt sie sich,
Die Haide, nebelnd, gespenstiglich,
Die Winde darüber sausend,
»Ach, wär' hier Ein Schritt, wie tausend!«

Und Alles so still, und Alles so stumm,
Man sieht sich umsonst nach Lebendigem um,
Nur hungrige Vögel schießen
Aus Wolken, um Würmer zu spießen.

Er kommt an's einsame Hirtenhaus,
Der alte Hirt schaut eben heraus,
Des Knaben Angst ist gestiegen,
Am Wege bleibt er noch liegen.

»Ach Hirte, du bist ja von frommer Art,
Vier gute Groschen hab' ich erspart,
Gieb deinen Knecht mir zur Seite,
Daß er bis zum Dorf mich begleite.

Ich will sie ihm geben, er trinke dafür
Am nächsten Sonntag ein gutes Bier,
Dies Geld hier, ich trag' es mit Beben,
Man nahm mir im Traum drum das Leben!«

Der Hirt, der winkte dem langen Knecht,
Er schnitt sich eben den Stecken zurecht,
Jetzt trat er hervor - wie graute
Dem Knaben, als er ihn schaute!

»Ach Meister Hirte, ach nein, ach nein,
Es ist doch besser, ich geh' allein!«
Der Lange spricht grinsend zum Alten:
Er will die vier Groschen behalten.

»Da sind die vier Groschen!« Er wirft sie hin
Und eilt hinweg mit verstörtem Sinn.
Schon kann er die Weide erblicken,
Da klopft ihn der Knecht in den Rücken.

Du hältst es nicht aus, du gehst zu geschwind,
Ei, Eile mit Weile, du bist ja noch Kind,
Auch muß das Geld dich beschweren,
Wer kann dir das Ausruh'n verwehren!

Komm, setz' dich unter den Weidenbaum
Und dort erzähl' mir den häßlichen Traum,
Mir träumte - Gott soll mich verdammen,
Trifft's nicht mit deinem zusammen!

Er faßt den Knaben wohl bei der Hand,
Der leistet auch nimmermehr Widerstand,
Die Blätter flüstern so schaurig,
Das Wässerlein rieselt so traurig!

Nun sprich, du träumtest - »Es kam ein Mann -«
War ich das? Sieh mich doch näher an,
Ich denke, du hast mich gesehen!
Nun weiter, wie ist es geschehen?

»Er zog ein Messer!« - War das, wie dieß? -
»Ach ja, ach ja!« - Er zog's? - »Und stieß -«
Er stieß dir's wohl so durch die Kehle?
Was hilft es auch, daß ich dich quäle!

Und fragt ihr, wie's weiter gekommen sei?
So fragt zwei Vögel, sie saßen dabei,
Der Rabe verweilte gar heiter,
Die Taube konnte nicht weiter!

Der Rabe erzählt, was der Böse noch that,
Und auch, wie's der Henker gerochen hat,
Die Taube erzählt, wie der Knabe
Geweint und gebetet habe.

Sommerbild 1844

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
So weit im Leben, ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.

Meeresleuchten 1845

Aus des Meeres dunklen Tiefen
Stieg die Venus still empor,
Als die Nachtigallen riefen
In dem Hain, den sie erkor.

Und zum Spiegel, voll Verlangen,
Glätteten die Wogen sich,
Um ihr Bild noch aufzufangen,
Da sie selbst auf ewig wich.

Lächelnd gönnte sie dem feuchten
Element den letzten Blick,
Davon blieb dem Meer sein Leuchten
Bis auf diesen Tag zurück.

Herbstbild 1852

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Ein Dithmarsischer Bauer 1853

Der warme Sommer scheidet
Mit seinem letzten Strahl;
Der Sohn des Südens schneidet
Das Korn zum zweiten Mal;
Man bäckt's am Donaustrande,
Man mahlt's am Rhein und Main,
Und führt's am fernsten Rande
Des Reichs zum Dreschen ein.

Hier liegt nun, rings umflossen
Vom Elb- und Eiderfluß,
Ein Freiland, wohl verschlossen,
Dem Kaiser zum Verdruß,
Der's längst dem Kronenträger
Von Dänemark verliehn,
Doch, wie den Leu dem Jäger:
Fang ihn, so hast du ihn!

Dort gilt es, sich zu rühren,
Daß nicht der Hagelschlag,
Den manche Ernten spüren,
Die Frucht noch zehnten mag;
Drum rücken alle Hände
Dithmarschens auch ins Feld,
Und zur Quatember-Wende
Ist stets das Werk bestellt!

Nun spricht ein greiser Bauer
In seiner Knechte Kreis:
Wir haben's heute sauer,
Es gilt den letzten Schweiß;
Auf morgen fürcht ich Regen,
Die Wolken sind zu kraus,
Drum muß der Gottessegen
Mir noch vor Nacht ins Haus!

Er spricht's im barschen Tone,
Und fügt kein Wort hinzu
Von doppelt großem Lohne
Und langer Sonntagsruh;
Doch hört man keinen fluchen,
Denn durch das Weihnachtsbrot
Und durch den Osterkuchen
Vergilt er das Gebot.

Nun geht die Arbeit wacker
Und fröhlich ihren Gang,
Der Weg vom Hof zum Acker
Scheint nur noch halb so lang,
Die vollen Wagen fliegen,
Wie sonst die leeren kaum,
Und ganze Felder schmiegen
Sich unterm Windelbaum.

Doch immer dunkler türmen
Die Wolken sich empor;
Der erste von den Stürmen
Des Herbstes steht bevor.
Die weißen Möwen wagen
Sich kreischend übern Deich;
Die Krähen fliehn mit Zagen,
Die Spatzen folgen gleich.

Der Junge bringt das Essen:
Zurück! Noch fehlt die Zeit!
Der Mittag sei vergessen,
Der Abend ist nicht weit!
Die Pferde selbst gedulden
Sich heut und springen froh,
Auch zahl ich meine Schulden
In Hafer, nicht in Stroh!

Und trüber wird's und trüber,
Je mehr die Dämmrung naht;
Wie pfeift es schon herüber
Vom hohlen Seegestad!
Hinan zum Deiche trabend,
Denkt jetzt der Alte still:
Die haben Feierabend,
Ich – Nun, wie Gott es will!

Jetzt muß das Wetter brechen!
Gleichviel, wir sind gedeckt,
Denn schon wird mit dem Rechen
Die letzte Fuhr' besteckt!
Sie kommt auch ohne Schaden
Noch vor der Scheune an,
Doch gar zu hoch beladen,
Klemmt sie im Tor sich dann!

Vorwärts! Die Pferde beißen
In ihr Geschirr vor Wut,
Die dicken Stränge reißen,
Zum Schweiße fließt schon Blut!
Doch hilft nicht Kraft, noch Schnelle,
Die Scheune selber rückt
Wohl eher von der Stelle,
Als daß die Durchfuhr glückt!

Und plötzlich bricht das Rasen
Der Elemente los,
Der Winde scharfes Blasen
Zerschlitzt der Wolken Schoß,
Da kann ihn nichts mehr stopfen,
Den neuen Sündflut-Born,
Und jeder Wassertropfen
Fällt, wie ein Hagelkorn.

Nun speit der Alte Flammen:
Der Pferde sind nur zwei,
Der Kerle fünf beisammen,
So tretet selbst herbei!
Gebt acht, wir werden's zwingen,
Wenn ihr die Räder packt
Und ich vor allen Dingen
Die Deichsel, bis sie knackt.

Die Knechte aber denken:
Ein Tor ist, wer so spricht,
Auch darf man's ihm nicht schenken,
Er kennt die Grenze nicht!
Man muß ihm einmal geigen,
Sonst ist er toll genug
Und spannt uns noch als eigen
Im Frühling vor den Pflug.

Sie schweigen zwar, und nicken,
Als wär' es ihnen recht,
Doch merkt man wohl, sie schicken
In den Befehl sich schlecht.
Sie glotzen dumm und dämisch,
Wie er die Deichsel faßt,
Und grinsen mehr, als flämisch,
Bei seinem: Aufgepaßt!

Und doch! Es ist gelungen
Auf einen einz'gen Ruck!
Habt Dank, ihr braven Jungen!
Nun gibt's auch einen Schluck!
Ich geb euch eine Tonne
Hamburger Bier zur Nacht,
So zecht denn, bis die Sonne
Dem Spaß ein Ende macht!

Die Knechte aber stehen
Mit offnem Munde da,
Als hätten sie gesehen,
Was nie noch Einer sah;
Dann rufen sie: Sie nennen
Euch längst den Goliath,
Ihr dürft euch wohl bekennen.
Ich mach auch den noch matt!

Was rühmt ihr meine Stärke?
Seid ihr nicht selbst erhitzt?
Ihr habt ja Teil am Werke,
Bin ich es denn, der schwitzt?
Wir dürfen euch schon loben
Für dieses Teufelsstück:
Wir haben nicht geschoben,
Wir hielten bloß zurück!

So will ich kurz mich fassen:
Ich bin dem Spaß nicht hold,
Doch mögt ihr heute prassen,
So toll ihr immer wollt,
Auch sei auf eure Mühe
Euch nicht die Rast verwehrt,
Nur, daß ihr in der Frühe
Euch gleich vom Hof mir schert!

Jetzt naht sich aus der Küche
Die Frau mit stolzem Schritt
Und bringt die Wohlgerüche
In ihren Röcken mit;
Sie ruft mit krauser Stirne:
Ei, Wirt, was säumt ihr noch?
Den Stall versieht die Dirne
Und fertig ist der Koch!

Frau, mich soll Gott behüten
Vor Speis' und auch vor Trank
Bei solcher Stürme Wüten,
Doch habt für diese Dank!
Die können ruhig trinken,
Es wird darum kein Schiff
Auf finstrer See versinken
Am Helgolander Riff!

Nun nickt er ihr, dann reitet
Er eilig wieder fort,
Zum Deich zurück und leitet
Die Strand- und Schiffswacht dort;
Er hat dafür zu sorgen,
So will's das Schlüteramt,
Daß hell bis an den Morgen
Die Feuertonne flammt.

Mutter und Kind 1859

Der letzte Baum 1860

So wie die Sonne untergeht,
Gibt's einen letzten Baum,
Der, wie in Morgenflammen, steht
Am fernsten Himmelssaum.

Es ist ein Baum und weiter Nichts
Doch denkt man in der Nacht
Des letzten wunderbaren Lichts,
So wird auch sein gedacht.

Auf gleiche Weise denk ich Dein,
Nun mich die Jugend läßt,
Du hältst mir ihren letzten Schein
Für alle Zeiten fest.

Gedichte Sammlung 1842

Neue Gedichte Sammlung 1847

Gedichte Sammlung 1857

Bühnenstücke

Judith Tragödie — 1840

Genoveva Tragödie — 1843

Der Diamant Komödie — 1847

Maria Magdalena Ein bürgerliches Trauerspiel — 1844

Trauerspiel in Sizilien Tragikomödie — 1851

Julia Trauerspiel — 1851

Herodes und Mariamne Tragödie — 1849

Agnes Bernauer Trauerspiel — 1852

Der Rubin Märchenlustspiel — 1849

Gyges und sein Ring Tragödie — 1856

Die Nibelungen Trauerspiel — 1861

Demetrius Tragödie (unvollendet) — 1864

Prosa

Die Räuberbraut 1833

Barbier Zitterlein 1836

Matteo 1841

Eine Nacht im Jägerhause 1842

Pauls merkwürdigste Nacht 1847

Der Schneidermeister Nepomuk Schlägel auf der Freudenjagd 1847

Anna 1847

Herr Haidvogel und seine Familie 1848

Schnock 1848

Die Kuh 1849

Sonstige Werke

Ein Abend in Straßburg. 1837

Mein Wort über das Drama. 1843

Aufzeichnungen aus meinem Leben. 1854

Tagebücher

Sommers Weltliteratur to go

Der Autor und Dramaturg Michael Sommer zeigt auf seinem YouTube-Kanal „Sommers Weltliteratur to go“ Kurzzusammenfassungen von bekannten Werken, etwa „Hamlet to go – Shakespeare in 8,75 Minuten“. Alle Videos inszeniert er mit Hilfe von Playmobil-Figuren. Für seine kurzweiligen Nacherzählungen wurde er 2018 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. 

Im Auftrag der Stadt Wesselburen hat Michael Sommer Hebbels Werk „Gyges und sein Ring“ verfilmt. Das Video hatte bei den Hebbel-Tagen 2023 Premiere.

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